Suffizienz

Wir Schweizerinnen und Schweizer sind Teil jener 20 Prozent der Weltbevölkerung, die 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen. Wir leben auf Kosten der Zukunft, auf Kosten nachfolgender Generationen. Niemand will verzichten, heisst es. Dabei leuchtet der Gedanke eigentlich ein: Immer mehr ist nicht immer besser. Mancher «Verzicht» würde vielen Menschen guttun: weniger Lärm, weniger Stress, weniger Konsum.

Suffizienz bedeutet: Weniger ist mehr. Dabei geht es nicht um die Frage, ob wir verzichten müssen – sondern darum, worauf wir verzichten müssen, können oder auch wollen. Suffizienz nimmt sich diesen Themen an und ist Teil der Nachhaltigkeitsdebatte. Ein suffizienterer Lebensstil ist ein möglicher Weg, um uns einer nachhaltigen Zukunft anzunähern.

Wieviel brauchen wir wirklich für ein gutes Leben?

Thematische Bedeutung

Die Menschheit verbraucht zu viele Ressourcen und produziert zu viele umweltschädliche Abfälle. In sieben Monaten beanspruchen wir Menschen so viel, wie die Erde in einem Jahr erneuern kann. Die Schweiz schafft dies bereits in fünf Monaten. Also sollten wir weniger verbrauchen. Bleibt die Frage: Wie denn?

Es gibt grundsätzlich drei Wege, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren:

  • Effizienz (dasselbe tun mit weniger Ressourcen)
  • Konsistenz (dasselbe tun mit weniger belastenden Ressourcen)
  • Suffizienz (weniger tun)

In der Nachhaltigkeitsdiskussion war bislang vorwiegend von Effizienz und Konsistenzstrategien die Rede. Dabei geht es vorab darum, wie unser materielle Lebensstandard mit weniger oder mit anderen Ressourcen aufrechterhalten werden kann. Die Suffizienz stellt dagegen den dominierenden Wohlstandsbegriff infrage: Muss der Lebensstandard sinken – oder sollte man unter «Wohlstand» etwas anderes verstehen als heute üblich? Soweit in Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft von Suffizienz überhaupt die Rede ist, sind die damit verbundenen Vorstellungen vage. Suffizienz wird oft mit negativ besetzten Begriffen wie «Verzicht», «Rückschritt», gar «Askese» assoziiert – obwohl manche Suffizienz-Konzepte wie die 2000-Watt-Gesellschaft und namentlich die Netto Null-Strategie im politischen Diskurs durchaus verankert sind.

Suffizienz und Klimadebatte

In den letzten Jahren ist die Sorge über die Klimakrise insbesondere auch bei Jugendlichen stark gestiegen – weltweit und auch in der Schweiz. Vor allem junge Leute fühlen sich angesichts der Klimakrise machtlos und bangen um ihre Zukunft. Das bringen etwa Social Media-Posts der Klimastreik-Bewegung in der Schweiz immer wieder zum Ausdruck. Gleichzeitig intensivieren schweizweit Gemeinden und Städte ihre Bemühungen in Richtung Klimaneutralität. Die Stadt Zürich will bis 2040 klimaneutral werden. Für die Stadtverwaltung gilt Netto-Null bis 2035. Und erstmals definiert der Stadtrat auch ein Reduktionsziel für Treibhausgasemissionen.

Fest steht: CO2-Reduktion ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft und an der wir alle einen Beitrag leisten können. Allerdings ist es für viele oft frustrierend, auf etwas zu verzichten, wenn links und rechts weiterhin der Status Quo gelebt wird und wenn Massnahmen für den Klimaschutz auf nationaler Ebene nur langsam vorankommen. Menschen verlieren Hoffnung, Zukunftsglaube, Optimismus.  Das eigene Tun und Handeln erscheint als unnützen Tropfen auf dem heissen Asphalt.

Hier setzt «HappyLess an: Wie viel Wenig brauchst du für dein Glück?» an. «HappyLess» nutzt dieses Bewusstsein, um vor allem jungen Menschen in der Schweiz konkrete Wege aufzuzeigen, wie sie mit einfachen Verhaltensänderungen aktiv etwas fürs Klima tun können. HappyLess unterstützt motivierte, neugierige, offene Menschen bei ihrer Suche nach suffizienteren Lebensstilen, nach Glück. HappyLess macht den Weg frei für Community-Building, zeigt gangbare Wege hin in einen klimaschonenderen Alltag. Das soll nicht heissen, dass politische Massnahmen weniger dringlich wären. Sie sind notwendig, um den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft voranzutreiben.

Thesen und Antithesen

Suffizienz wird üblicherweise assoziiert mit Verzicht. Sie gilt als freiheitsbeschränkend,

wirtschaftsfeindlich und mithin nicht mehrheitsfähig. HappyLess greift diese Einschätzung auf und stellt sie in Frage. Eine nicht-suffiziente Lebensweise ist nicht unbedingt Ausdruck eines persönlichen (Un-)Willens, sondern resultiert auch aus sozialen Normen und Zwängen.

Niemand will verzichten, heisst es. Dabei leuchtet der Gedanke vielen ein: Immer mehr ist nicht

immer besser und weniger ist manchmal mehr. Die 2000-Watt-Gesellschaft, die Städteinitiativen zur Reduktion des motorisierten Strassenverkehrs, die Zweitwohnungsinitiative, die Alpeninitiative: All diese politischen Vorstösse folgen dem Suffizienzgedanken und waren an der Urne erfolgreich. Wo sie nicht umgesetzt werden, scheitern sie eher am Unwillen der politischen Gremien statt an der Mehrheitsfähigkeit in der Bevölkerung.

Erklärungsbedürftig ist im Grunde also nicht, weshalb es Suffizienz braucht, sondern weshalb «alle» so tun, als wolle niemand suffizient leben. Dass «der Mensch» als Homo oeconomicus immer mehr (materielle) Güter will, ist eine empirisch nicht begründete Modellannahme der Ökonomie, die wenig mit der Realität zu tun hat. Es geht mithin nicht um die Frage, ob wir verzichten müssen – sondern darum, worauf wir verzichten müssen, können oder auch wollen und damit letztlich um die Frage: Wie wollen wir leben?

Mancher «Verzicht» würde die meisten Menschen tatsächlich freier machen: weniger Lärm, weniger Stress, weniger Konsum… Zu behaupten, es wären alle glücklicher, wenn man suffizient lebte, greift aber zu kurz. Mancher Verzicht, der aus Umweltsicht unabdingbar ist wie weniger Fleisch zu essen oder Flugreisen zu reduzieren tut vielen tatsächlich «weh». Es gibt aber gute Gründe, auch diesen schmerzenden Verzicht einzufordern: Die allermeisten Schweizer:innen gehören zu den 20 Prozent der Weltbevölkerung, die 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen. Wir leben auf Kosten der Zukunft und müssen aufhören damit: Das fordern die intra- wie die intergenerationelle Gerechtigkeit.